Heute möchte ich unbedingt über unsere Urlaubsreise berichten. Nach zwei Jahren Corona war es uns endlich gegönnt, meine Heimat Polen wieder zu besuchen. Doch nicht diese Tatsache allein machte unseren Urlaub so besonders. Wie aus unserem Urlaub ein Traumurlaub wurde und was die Reise mit der Nachhaltigkeit, Wertschätzung und Geschichte zu tun hat, erfährst du in diesem Blogartikel.
Auf der Spurensuche von Menschen und deren Geschichten
Eigentlich soll jeder Reisebericht chronologisch beginnen. Doch ich fange in der Mitte an. Denn gerade diese von meinem Mann lange und sorgfältig geplante Tour war so außergewöhnlich. Warum ausgerechnet mein allgaierischer Ehemann Fan von der Masurischen Seenplatte und ostpreußischen Geschichte ist, bleibt mir ein Rätsel.
Nach einem 9-tätigen Aufenthalt in Danzig ging die Reise in Richtung Masuren, dem südlichen Teil von früherem Ostpreußen. Wir hatten dort drei Hauptziele anvisiert: Schloss Nakomiady, auf deutsch Eichmedien, Schloss Drogosze, auf deutsch Dönhoffstädt und Sztynort, auf deutsch Steinort. Alle drei Orte sind Zeugen komplizierter und tragischer Geschichten von Menschen, die dort lebten, von dort vertrieben oder sterben mussten.
Vor dem Antritt dieser Reise hatte ich übrigens aufgrund des Ukraine-Krieges schwerste Bedenken. Unsere Reiseziele befinden sich nämlich nur wenige Kilometer von der Kaliningrader Oblast entfernt.
Nakomiady – ein Traum vom eigenen Schloss
Im Schloss Nakomiady/Eichmedien hatten wir drei Übernachtungen. Doch dieses Schloss ist kein gewöhnliches Hotel, sondern das Zuhause der Familie Joanna und Piotr Ciszek mit neun Gästezimmern.
Joanna und Piotr kauften 1998 die Ruine des über 300 Jahre alten Schlosses und den dazu gehörigen Park und verwandelten es zu einem Ort mit einem ganz besonderen Charme und Stil.
Sie ließen sich von dem mehr als maroden Zustand des Schlosses nicht abschrecken. Ein Herrenhaus ohne Fenster, fast ohne Dach und mit überfluteten Gewölbekellern war die Liebe auf den ersten Blick und ist und bleibt das Abenteuer ihres Lebens.
1945 plünderten hier die Soldaten der Roten Armee. Mensch, wie aktuell das Thema wieder ist! Später wurden im Herrenhaus Büros einer Kolchose, ein Kindergarten und Wohnungen für Landarbeiter eingerichtet. Die von der Gemeinde seit 1985 geplanten Renovierungsarbeiten wurden nie initiiert. Das leer stehende Schloss, der Park und die Wirtschaftsgebäude wurden danach geplündert und verwüstet.
Eberhard von Redecker, der letzte deutsche Gutsverwalter, setzte sich jahrelang bei der Gemeinde für den Erhalt des Schlosses. Familie von Redecker lebte in Eichmedien von 1789 bis zu ihrer Vertreibung 1945. Heute verbindet eine besondere Freundschaft beide Familien. Eberhard von Redecker fand 2005 seine letzte Ruhe im Schlosspark in Nakomiady. Den heutigen Eigentümern ist die Familie von Redecker unendlich dankbar, dass sie ihren alten Familienbesitz vor dem Verfall gerettet haben und wunderbar stimmig saniert haben.
Restauriert mit viel Herzblut
Die 2000 qm Wohnfläche des Schlosses haben Joanna und Piotr mit einem enormen finanziellen Aufwand und viel Herzblut und Gespür für Kunst und Geschichte renoviert. So einem Vorhaben liegen immer viele Steine im Weg. Eine der großen Hürden sind die Auflagen der Denkmalschutzbehörden. Doch hier waren die Eheleute oft strenger als die Beamten. Dafür können die Gäste im Schloss Eichmedien nur dankbar sein.
Was früher nicht ganz zerstört oder entwendet wurde, ließen die Eheleute in seinem ursprünglichen Zustand. Dazu gehört die alte abgenutzte Holztreppe oder der Steinboden im Eingangsbereich. Das vermittelt ein Gefühl, als ob die tragischen Ereignisse nie an Eichmedien vorbei gezogen wären. Stilvolle Möbel, die Piotr und Joanna nach langen Internetrecherchen erwarben, sorgfältig ausgesuchte Tapeten mit wunderschönen Motiven und die zahlreichen Sitzsofas, die zum Verweilen einladen, verleihen dem Haus einen ganz besonderen Charme.
Jedes Zimmer oder eigentlich Gemach ist individuell eingerichtet. In allen Gemächern und Räumen befinden sich handbemalte Kachelöfen, die in schlosseigener Manufaktur gefertigt wurden. Es sind Repliken der traditionellen Öfen, die früher preußische Herrenhäusern wärmten und schmückten. Alle Fliesen in den Bädern oder der Schlossküche stammen ebenfalls aus der eigenen Keramikwerkstatt. Selbst die Lichtschalter und die Steckdosen sind aus Keramik gefertigt!
In einem Schloss dürfen selbstverständlich keine Hunde fehlen. Zum Schloss gehören stilecht vier freundliche und gesellige Schweizer Jagdhunde: Bazyli, Bankier, Debet und Frank. In das hübsche Ambiente fügen sie sich harmonisch ein.
Den eigenen Pulsschlag hören
Das Schloss liegt auf einer Anhöhe und ist umgeben von einer gepflegten und imposanten Parkanlage mit einigen ca. 300 Jahre alten geschützten Bäumen. Ein Gemüsegarten, der Zutaten für die Schlossküche liefert, ist nach dem Vorbild des berühmten Gartens in Château de Villandry angelegt und zieht viele Blicke an. Im Obstgarten, der jetzt in voller Blütenpracht steht, summt es und brummt überall.
Die Geräuschkulisse ist in Nakomiady ganz spektakulär. Im Teich, in dem in der Vergangenheit Traktoren gewaschen wurden, quaken Frösche. Der Kuckuck ruft praktisch den ganzen Tag, die Bienen summen im Obstgarten und die Störche klappern auf den umliegenden Feldern. Trotz dieser natürlichen Geräuschkulisse kann man seinen eigenen Herzschlag hören.
Zu dem ursprünglichen 5 ha großen Grundstück sind nach zwei Jahren weitere Felder und Wiesen dazu gekommen. So konnten die Eheleute Ciszek vermeiden, dass sich in der unmittelbarer Nachbarschaft die Kommerz ansiedelte. Die Anfahrtswege sind etwas holprig – dies hat ebenfalls den positiven Effekt, dass sich hier das Massentourismus nicht etablieren konnte.
Auf dem Grundstück entdeckten wir sogar geschickt versteckte Solarpaneele. Sie sind ein Bestandteil von zwei Solarthermie-Kraftwerken. Der hier gewonnene Strom deckt zu 80 % den Energiebedarf des Schlosses und der Porzellanmanufaktur. Das Regenwasser wird aufgefangen und im Teich gesammelt. Das Internet ist hier vorhanden, doch abends fällt das WLAN irgendwie aus. Einschlafen funktionierte auch ohne Netflix bestens.
Lost Places
Dass die Masurische Seenplatte eine der schönsten Landschaften in Europa ist, war mir bewusst. Doch unbekannt waren mir die ca. 300 ehemaligen deutschen Paläste, Schlösser, Herrenhäuser oder die Burgen des Deutschen Ordens. Leider hatten nicht alle so viel Glück wie Eichmedien. Zu den bedeutendsten gehören Dönhoffstädt und Steinort und wie geplant besuchten wir sie alle.
Steinort
Schloss Steinort/Sztynort ist für deutsche Geschichte von grosser Bedeutung. Es war ein wichtiger Treffpunkt des deutschen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. Der letzte Besitzer, Heinrich Graf von Lehndorff-Steinort gehörte zum engsten Kreis der Widerstandskämpfer und wurde nach dem gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler im Juli 1944 verhaftet und im September 1944 erhängt.
Das Schloss und das gesamte Anwesen wurden nach dem 2. Weltkrieg für mehrere Jahre von den Russen besetzt. Anschließend übernahm eine polnische landwirtschaftliche Genossenschaft das Gut und nutzte das Schloss als Lager für Getreide. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus verfiel die ehemalige Gutsanlage im schnellen Tempo. Der polnischen Stiftung Polsko-Niemiecka Fundacja Ochrony Zabytkow (PNF) gehören seit 2009 das Schloss und das Mausoleum. Dringende Notsicherungsmaßnahmen erfolgten. Aktuell laufen sehr umfassende Renovierungsarbeiten der gesamten Gutsanlage. Eine Besichtigung ist deshalb nicht möglich.
Die Akquisition der Fördermittel und Spenden für die Renovierungsarbeiten im Schloss dauert die ganze Zeit an. Ausführliche Informationen über das Projekt im Lehndorffschen Schloss findest du unter: Deutsch-Polnische Stiftung.
Dönhoffstädt
Anders als in Steinort herrscht im beeindruckendsten Schloss Dönhoffstädt/Drogosze absolute Stille. Der Palast und der 70 ha Park befinden sich aktuell im privaten Besitz. Dem ostpreußischen Kulturdenkmal widerfuhr ein ähnliches Schicksal wie allen anderen Schlösser dort. Eine kurze Besichtigung weniger Innenräume ist möglich. Und es lohnt sich absolut! Im Park ist der Aufenthalt dagegen zeitlich unbegrenzt.
Der drohende absolute Verfall von Dönhoffstädt wäre ein enormer Verlust für jetzige und künftige Generationen. Solltest du die Möglichkeit haben, Masuren zu besuchen, empfehle ich vom ganzen Herzen den Besuch in Dönhoffstädt. Weder meine Worte noch meine Fotos können die Schönheit dieser barocken Perle wiedergeben. Betrachte sie allerdings als Appetizer.
Im Land der Störche
Zum Schluss verrate ich, was für mich persönlich ein Highlight war. Es waren selbstverständlich die Störche. Ihre Nester sieht man hier auf fast allen Straßenlaternen und Dächern. Auf der Suche nach Babynahrung schreiten majestätisch auf den Wiesen. Ab und zu fliegen sie einem über dem Kopf. Das ist mir vor dem Schloss Steinort in der Tat passiert. Das war ein Spektakel!
Ein Familienurlaub im Natur-, Burgen- und Schlösserparadies Masuren in Verbindung mit Geschichtsunterricht ist auf jeden Fall empfehlenswert.
Deine Alicja von kapelusch