Wieso muss man sich als Anbieter nachhaltiger Kindermode rechtfertigen? Wieso steht der nachhaltige Lebensstil umweltbewusster Eltern überhaupt in der Kritik?
Klassismus oder Populismus
Anfang Januar, direkt vor den Parlamentswahlen in Bangladesch, ploppten auf meinem iPad zwei Mitteilungen über neue Artikel in der Süddeutschen Zeitung auf. Im ersten Artikel ging es um die schlechten Arbeitsbedingungen und die Kinderarbeit in der Textilindustrie in Bangladesch.
Bei der Lektüre des zweiten Artikels verfiel ich in Schockstarre. Die Gastautorin, Erziehungsberaterin und Spiegel-Bestseller-Autorin kritisiert scharf Eltern für ihren nachhaltigen demonstrativ gelebten Lebensstil. In Kritik geraten edle Spielsachen aus Holz, Bambuszahnbürsten, teure Barfußschuhe in gedeckten Tönen und die Wollkleidung.
,Eltern pflegen ihre achtsame Wolle-Seide-Welt nicht nur aus pädagogischen und ökologischen Gründen – sondern auch aus einem anderen, sehr viel unschöneren Grund: Klassismus.‘- so die Autorin.
Für mich ist dieser Klassismus-Vorwurf eindeutig eine Grenzüberschreitung, die ohnehin gespaltene Gesellschaft noch mehr spalten und polarisieren könnte.
Klassismus aufgrund sozialer Herkunft ist falsch, indiskutabel und diskriminierend. Dass sich die soziale Schere in Deutschland immer weiter öffnet, ist Tatsache. Die Leidtragenden sind immer die Kinder. Doch sich den nachhaltigen Lebensstil und die nachhaltige Kindermode vorzuknöpfen ist fehl am Platz.
Um den sozialen Frieden zu gewährleisten, braucht es Investitionen und nicht nur einige wenige Sozialarbeiter in den Brennpunkten.
Mit Sicherheit beabsichtigte die Autorin nicht, die Gesellschaft zu spalten. Und auch konnte sie nicht wissen, was sie damit bei mir auslösen würde. Möglicherweise ist meine Reaktion auf den Klassismus-Vorwurf für manche Betrachter etwas überspitzt. Der Artikel hat allerdings starke Emotionen bei mir ausgelöst, weil ich mich direkt angesprochen fühle.
Den appellartigen Impuls der Autorin finden andere Leser bestimmt sympathisch. Der regt dazu an, die eigene Urteilsneigung zu überdenken, nicht dogmatisch zu sein.
Aber: Es wäre wünschenswert, die als klassistisch beobachtete ausgegrenzte oder abgewertete ,andere’ Elternschaft für das Holzspielzeug zu gewinnen. Und diesen Eltern und Kindern nicht die geschmacklosen Spielsachen zu lassen.
Babys in beige
Ich bin schon öfters auf Medienschaffende gestoßen, die sich kritisch über die umweltbewussten Akademiker-Hipster-Eltern äußerten. In einem Atemzug nennen sie die langweilige Farbpallette der Ökokinderkleidung und die Preise. Doch geht es dabei wirklich um die Farben beige, naturweiss und braun oder sind es die Preise der nachhaltigen Kinderkleidung, die als hochpreisig empfunden werden?
Rohbaumwolle gibt es in weiß, gelblich, leicht fleckig und fleckig. Weniger bekannt sind die Baumwollsorten, die gelbbräunlich erscheinen, sowie farbig gewachsene in Grün- und Brauntönen. Rohwolle in Naturfarben gibt es in unterschiedlichen Tönen von Weiß, Braun, Grau und Schwarz. Somit ist das Färben von Naturfasern erstmal gar nicht nötig und das macht die Textilien noch nachhaltiger bzw. umweltverträglicher.
Es gibt selbstverständlich nachhaltigere Kindermode in vielen weiteren Farben. Nicht immer entsprechen sie den farblichen Vorstellungen der Eltern, die an die Komplementärfarben und die Ästhetik der Kindersendungen gewöhnt sind. Quietschbunt und gemustert bedeutet immer mehr Umweltbelastung, egal wie umweltfreundlich die Chemikalien sind.
Im Kindergarten oder in der Grundschule gibt der Disney Channel den Ton an mit all diesen Disney und Lego Figuren. Übrigens hat kaum jemand letztes Jahr vom 95. Geburtstag der sympathischen Mickey Mouse berichtet. Der Grund dafür war mit Sicherheit der Hype um die Premiere von The Barbie Movie.
Wie ist es in den sozialen Zusammenhängen der weiterführenden Schulen oder im Verein? Muss man so wie diese Stars sein, um anerkannt zu werden? Schon. Und man darf nicht zu stark von diesem Code abweichen. Deshalb ist es eben doch wichtig, an welcher Art von Star sich das eigene Kind orientieren muss – als Jugendliche(r) ja noch viel stärker. Die Ghettojacke verlangt der Jugendliche ja nicht unbedingt, weil sie ihm gefällt, sondern weil das soziale Kapital generiert: Akzeptanz.
Günstig und gut für unsere Geldbeutel und die Wirtschaft
Seit 1990 die erste Generation Fast Fashion die Märkte im Westen eroberte, ist die Kleidung billig. Daran haben sich die Kunden gewöhnt. Pervers günstig ist die Kinderkleidung, auch die mit ökologischen Zertifikaten bei den Discountern. Deshalb kommt es den Verbrauchern vor, dass nachhaltige Kinderkleidung teuer ist. Mittlerweile haben wir mit Ultra Fast Fashion der chinesischen Marken Shein und Temu zu tun, mit denen H&M und Co. konkurrieren müssen.
Die Gründe für die Verlegung der Textilproduktion und der Lieferketten im Allgemeinen waren die extrem niedrigen Arbeitskosten, fehlende Arbeitnehmerrechte sowie die nicht vorhandenen Umweltvorschriften.
Dr. Miriam Saage-Maaß, Rechtsanwältin und juristische Direktorin des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) formuliert es viel deutlicher:
,Die Lieferketten sind nicht vom Himmel gefallen. Sie sind von Unternehmen organisiert worden, um die Wirtschaftsabläufe so profitabel wie möglich zu machen und mit so geringen ökonomischen Risiken wie möglich.‘
,Es sei eine Zeit „ohne Beschwerden“ gewesen. Damals (1991) kannten die Mitarbeiter ihre Rechte noch nicht.“ Auch seine Firma habe Kinder beschäftigt, allerdings nur „ganz wenige“, sagt Quader. Industrieabwässer vergifteten den nahegelegenen Fluss.‘ – erinnert sich der Gründer der Textilfabrik, die u.a. Puma beliefert. (SZ)
Über die schlechten Arbeitsbedingungen in asiatischen Produktionsstätten gab es lange vor dem verheerenden Einsturz der Textilfabrik in Bangladesch Medienberichte. Nach Rana Plaza wurde in asiatischen Textilfabriken für die Sicherheit der Arbeiter viel gemacht. Doch die Bezahlung reicht weiterhin nicht zum Leben aus. Kinderarbeit, obwohl verboten, und Überstunden sind allgegenwärtig. Zwei freie Tage im Monat stehen den Textilarbeitern in Bangladesch zu, schreibt die SZ. Was für ein Kontrast zu unseren Urlaubsansprüchen und freien Wochenenden.
Puma bezahlt seinem Zulieferer in Bangladesch drei bis fünf Dollar je T-Shirt. Materialkosten für den Baumwollstoff betragen dabei zwei Drittel des Einkaufspreises aus, Arbeitskosten fallen mit maximal einem Viertel ins Gewicht.‘ (Quelle: Süddeutsche Zeitung) Einen großen Spielraum für Lohnerhöhungen haben die Zulieferer nicht.
Welche Einkaufspreise zahlen die Importeure ihren Zulieferern für T-Shirts, das sie in den hiesigen Fußgängerzonen für 2-10 € anbieten? Einige NGO‘s berichten von 0,10 € je T-Shirt
Die Gewinner: konventionell oder nachhaltig?
Im Jahr 2022 gaben die deutschen Privathaushalte rund 77,7 Milliarden Euro für Bekleidung und Schuhe aus. So viel wie noch nie! Zu den Gewinner in Deutschland gehören Nike, Louis Vuitton und Gucci. (Quelle: Statista) Aus dem Wirtschaftswunderimperium Inditex gibt es ebenfalls gute Nachrichten ,Inflation und Konjunkturflaute prallen am spanischen Modekonzern Inditex ab.‘, berichtet das Handelsblatt.
Es wäre ideal und wünschenswert, wenn alle Privilegierten ein Herz für nachhaltige Labels und nachhaltigen Lebensstil hätten. Doch die Realität ist anders. Leider sind die Luxuskaufhäuser voll sündhaft teuren Polyester-Klamotten, die von sehr privilegierten Menschen gekauft werden. In atemberaubender Geschwindigkeit sind die Preise der Luxusmarken in den letzten Jahren in die Höhe geschnellt – allein in den drei Jahren von 2019 bis 2022 wurden sie um ein Viertel teurer.
Doch die Privilegierten kaufen auch Mode von Inditex und haben somit Amancio Ortega zu einem der reichsten Menschen der Welt gemacht.
Es geht immer um Menschen
Nachhaltige Kinderkleidung gibt es aus guten Gründen und dies bedeutet mehr als der Faserwechsel und Verzicht auf schädliche Chemikalien.
Bei einer Faserart sind sich einige Eltern einig: Polyester, stellvertretend für alle Kunstfasern, ist für die zarte Kinderhaut äußerst ungünstig. Die Mikroplastikproblematik ist manchen Eltern ebenfalls bekannt, wird gerne ausgeblendet.
Doch Kunstfasern wie Polyester haben nicht nur Fast Fashion den Weg frei gemacht, Naturfasern beinahe verdrängt sowie permanente und dekadente Überproduktion ermöglicht. Um anschließend ganze Landstriche in Ghana oder der Atacama Wüste mit Textilmüll zu bedecken, die Gesundheit der dortigen Bevölkerung zu gefährden und die Umwelt zu verpesten.
Polyester und somit viele Modemarken bringt die Changing Markets Foundation mit dem Angriffskrieg Putins auf die Ukraine in Verbindung. Der zweitgrößte Polyesterhersteller der Welt, der indische Konzern Reliance hat seine Öleinkäufe aus Russland um das Zwölffache erhöht: von 67,4 Millionen Euro pro Monat vor der Invasion auf 829,4 Millionen Euro im Juli 2022! Die chinesische Hengli Group kauft ebenfalls verbilligtes russisches Öl für die Herstellung seiner Polyesterprodukte. Viele bekannte Textilunternehmen, darunter auch deutsche, beziehen ihre Polyesterfasern von diesen Lieferanten.
Wie nutzen die so beliebten Fußballprofis angesicht dieser Fakten, ihre Popularität und die Vorbildfunktion? Was machen die Fussballvereine, um weniger Polyester-Trikots in Verkehr zu bringen? Wer Nachricht verfolgt, braucht eigentlich keine Studien dazu. Stars wie Helene Fischer haben sich neulich gegen Faschismus positioniert und haben dafür viel Lob, aber auch Shitstorm kassiert. Wo bleibt ihr Engagement, stellvertretend für alle Bühnenartisten, für die Nachhaltigkeit? Diese Themen kann man nicht auseinander halten und nach und nach abarbeiten.
Nichts spaltet mehr als die Geldfrage
Die Annahme, dass ausschließlich die besserverdienenden Akademiker die Wolle-Seide-Kleidung und Wollwalkoveralls für ihre Kinder kaufen ist möglicherweise nicht richtig. Es wäre jedenfalls fatal, gebildete und gut verdienende Eltern dafür zu verteufeln. Es klingt wie eine Art Klassismus bottom up.
Übrigens verdienen nicht alle Akademiker viel Geld. Hashtag #ichbinhanna müsste vielen spätestens seit der Sendung von MaiThink X bekannt sein.
Nicht alle gut verdienenden Akademiker sind umweltbewusst und kaufen ihren Kindern ökologische Kleidung.
Alicja von kapelusch